Tierschutzurteil des OLG Naumburg: ein mehr als deutlicher Hinweis auf die deutschlandweiten Vollzugsdefizite im Tierschutzrecht
Kommentar
5. März 2018
Das Oberlandesgericht Naumburg hat in dritter Instanz den Freispruch für drei Tierschutzaktivisten bestätigt, die in eine Schweinezuchtanlage bei Magdeburg eingedrungen waren und Filmmaterial über strafrechtlich relevante Zustände in den Stallungen veröffentlicht hatten. Vorausgegangen waren Hinweise auf Missstände, die behördlich nicht verfolgt wurden. Das zuständige Veterinäramt des Landkreises Börde hatte keine wirksamen Maßnahmen veranlasst, um die gesetzeswidrigen Zustände zu beenden und erst diese Versäumnisse zwangen die Tierschützer zum Handeln.
„Erstmals vor einem deutschen Gericht wurde in dritter Instanz geurteilt, dass Hausfriedensbruch unter Umständen gerechtfertigt sein kann, um tierschutzwidrige Zustände aufzudecken“, so Eisenhart von Loeper, 1. Vorsitzender der Erna Graff – Stiftung für Tierschutz in Berlin, die den Prozess maßgeblich unterstützte. Aufgrund des völligen Versagens der Veterinärbehörde, die von den Tierschutzverstößen wusste, sie aber in diesem speziellen Fall sogar vertuschte, sah das Gericht den Hausfriedensbruch als gerechtfertigten Notstand an, um weiteren Schaden von den Tieren abzuwenden. Nur mit dem Videomaterial sei es möglich gewesen, die Zustände in der Schweinehaltungsanlage aufzudecken.
Das Urteil ist kein Freibrief für Tierschützer. Ein derartiges Vorgehen sei nur mit dem sicheren Wissen um solche Rechtsverstöße möglich, betonte der Richter.
Ein Fall wie dieser ist leider kein Einzelfall. Viele desaströse Zustände in deutschen Ställen wurden in den letzten Jahren von Medien und Tierschutzorganisationen aufgedeckt. Das Urteil offenbart erhebliche Vollzugsdefizite im Tierschutzrecht. Nicht nur eine personelle Unterbesetzung hindert Veterinärämter an erforderlichen Kontrollen landwirtschaftlicher Tierhaltungsbetriebe, sondern häufig auch fehlendes Engagement für den Tierschutz und eine traditionell enge Verbundenheit der Veterinärbehörden mit der Landwirtschaft. Veterinärbehörden sehen sich oftmals mehr als Dienstleister für die Landwirtschaft, als dass sie sich dem öffentlichen Interesse am Tierschutz verpflichtet fühlen.
Gleiches spiegelt sich auch in der Politik der Bundesregierung wider: Die Groko beabsichtigt in ihrem Koalitionsvertrag, Stalleinbrüche in Zukunft effektiver zu ahnden und beweist damit, dass sie Eigentumsrechte einer speziellen Klientel grundsätzlich der Umsetzung geltenden Tierschutzrechts überordnet.
Engagierten amtlichen Tierärzt/innen und Amtstierärzt/innen wird der Einsatz für das Tierschutzrecht nicht nur von landwirtschaftlichen und politischen Kreisen erschwert, sondern häufig auch von Vorgesetzten und Kollegen in der eigenen Behörde. Gerade von dieser brauchen sie jedoch Rückendeckung und Unterstützung.
Neben der personellen Aufstockung ist ein Umdenken innerhalb der Veterinärbehörden angezeigt. Vorherrschen muss das Bewusstsein, im öffentlichen Dienst zu stehen, im Dienst einer Öffentlichkeit, die ein Interesse am Tierschutz hat, Verstöße gegen Tierschutzrecht nicht akzeptiert und sich auf die Überwachung durch Veterinärbehörden verlässt. Nur wenn sich die Tierärzt/innen in den Ämtern persönlich mitverantwortlich fühlen für die Umsetzung des deutschen Tierschutzrechts, lassen sich Vollzugsdefizite abstellen.