Reduktion der Antibiotikamenge in der Tiermast – nur ein Scheinerfolg!

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Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz (BLV) hat am 3. August 2016 die neuesten Abgabemengen von Antibiotika an Tierärzte bekannt gegeben.

Danach ist die Gesamttonnage der in der Veterinärmedizin eingesetzten Antibiotika weiter gesunken. Seit 2011 bis heute um nahezu die Hälfte der Ausgangsmenge. Im gleichen Zeitraum ist der Einsatz von sogenannten Reserveantibiotika, die für die Humanmedizin essentiell wichtig sind, zwischen 50 und 80% angestiegen. Eine alarmierende Botschaft. Der reduzierte Einsatz von Antibiotika hat bei den Haltungsbedingungen hinsichtlich Gesundheit und Tierwohl nur wenig zum Positiven verändert, die Folgen der vermehrten Abgabe von Reserveantibiotika sind für die Humanmedizin dagegen dramatisch.

Wir haben daher mitgewirkt an folgendem offenen Brief (hier als pdf) an den Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Herrn Christian Schmidt (CSU):


Offener Brief

Düsseldorf, den 5. September 2016

an

Christian Schmidt (CSU)
Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft

In Kopie zur Kenntnis an

Dr. Helmut Tschiersky
Präsident des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL)

Betreff: Steigende Gefahren durch Einsatz von Reserve-Antibiotika in der Massentierhaltung

Sehr geehrter Herr Bundesminister,

das zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft gehörende Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hat am 3. August 2016 die Abgabenmengen von Antibiotika an Tierärzte und Tierärztinnen bekanntgegeben. Demnach ist die Gesamttonnage der Antibiotika für Veterinärzwecke gesunken.

Zugleich weist das BVL in seiner Veröffentlichung darauf hin, dass die eingesetzte Menge „für den Menschen besonders relevanter Antibiotika“ im Erfassungszeitraum deutlich angestiegen ist (Fluorchinolone: + 82 %; Cephalosporine: + 52 %), die Behörde macht aber die schwerwiegenden Folgen dieser Entwicklung nicht deutlich. Bei diesen Antibiotika handelt es sich um hochpotente, so genannte Reserve-Antibiotika, die für die Behandlung beim Menschen gegen resistente Keime zurückgehalten werden. Da Flourchinolone von der Weltgesundheitsorganisation WHO als für den Menschen besonders wichtig eingestuft werden, sehen die unterzeichnenden Organisationen in dem vom BVL dokumentierten Wirkstoffwechsel keinen Anlass für eine Erfolgsmeldung, sondern deutlichen Handlungsdruck mit Blick auf den steigenden Absatz sogenannter Reserve-Antibiotika für die Verwendung in der Fleisch- und Milchproduktion.

Durch den flächendeckenden Antibiotika-Einsatz in der Massentierhaltung ist die Entstehung resistenter Keime unvermeidbar, die z. B. über die Nahrungskette auch in den menschlichen Organismus gelangen können. Antibiotika-Resistenzen machen weder vor Grenzen noch vor Stall- oder Krankenhaustüren halt und selbst die Umwelt ist betroffen. Die Resistenzentwicklung in Intensivtierhaltungen und die Übertragung über tierische Lebensmittel sollten aus unserer Sicht weitaus stärker ins Bewusstsein rücken, zumal im staatlichen Zoonosen-Monitoring 2013 in 66 % der Proben von frischem Hähnchenfleisch ESBL-bildende E. coli (Kolibakterium) nachgewiesen wurden.

Ende der 1990er Jahre starben dem US-amerikanischen Wissenschaftler Dudley Williams zufolge weltweit bereits rund 200.000 Menschen, weil Antibiotika ihnen nicht mehr helfen konnten. In den USA sorgte 2005 allein ein multiresistenter „Staphylococcus aureus“-Keim für 18.650 Todesfälle. In der Bundesrepublik Deutschland sterben nach Angaben des Max-Planck-Institutes alljährlich ca. 15.000 Personen, weil Antibiotika nicht mehr wirken.

Wir sehen dringenden Handlungsbedarf für Nachbesserungen hinsichtlich der Regeln zum Antibiotikaeinsatz in Tierhaltungen. Anlässlich der anstehenden Agrarministerkonferenz vom 7. – 9. September in Rostock-Warnemünde bitten wir um Nachricht, inwieweit die Beschlüsse der Agrarministerkonferenz vom April 2016 insbesondere zu sogenannten Reserve-Antibiotika umgesetzt wurden.

Das BVL wertet die Zahlen mit dem Verweis auf einen Rückgang der verwendeten Mengen als Erfolg. Das ist aus unserer Sicht voreilig, denn die erwähnte Reduktion um 401 Tonnen erlaubt keinen Rückschluss auf einen sparsameren oder sachgerechteren Umgang mit den Mitteln, da das BVL die höhere Effektivität gerade der neueren Mittel unzureichend berücksichtigt. Im Zuge dieses Wirkstoffwechsels können etwa mit Antibiotika wie BAYERs Baytril und anderen Arzneien wesentlich mehr Tiere behandelt werden als mit den herkömmlichen Antibiotika-Klassen. Eine Tonne des zur Gruppe der Fluorchinolone gehörenden Baytril von BAYER würde beispielsweise für die Behandlung von über zwei Millionen Mastschweine ausreichen, eine Tonne Tetrazyklin gerade einmal für 39.000 Schweine. Hinter der im BVL-Bericht vorgestellten „Halbierung“ des Antibiotika-Einsatzes in Tierställen kann sich somit tatsächlich sogar eine erhöhte Anzahl der mit Antibiotika behandelten Tiere verbergen.

Aus den genannten Gründen ist die nach der jüngsten Arzneimittelnovelle (16. AMG-Novelle) vorgeschriebene Angabe der Antibiotika-Verordnungen in Tonnen als Gradmesser eines Rückgangs oder Anstiegs des Antibiotikaeinsatzes irreführend und steht im Gegensatz zu einer transparenten Aufklärung, wie es das BVL leisten sollte. Es müssten vielmehr Kriterien verwendet werden, die sowohl die Wirksamkeit der Antibiotika, die Anzahl der behandelten Tiere und insbesondere die Risiken für Mensch, Tier und Umwelt berücksichtigen.

Um die Risiken für die „Eine Gesundheit“ (WHO: One Health-Prinzip) Mensch, Tier und Umwelt adäquat zu berücksichtigen, fordern wir die folgenden Maßnahmen zeitnah umzusetzen.

  • Als wichtigsten Schritt, der die Vergleichbarkeit der Antibiotika-Mengen sicherstellen würde, ist eine Angabe als „Defined Daily Doses“, als Erfassungskriterium notwendig, also der Zahl der pro Tag oder Tier verabreichten Antibiotika-Mengen.
  • Erfassung des Antibiotika-Einsatzes in allen Tierhaltungen, nicht nur in ausgewählten Mastbetrieben wie bisher.
  • Durchführung eines Antibiogramms (Wirksamkeitstest) als Pflichtvorgabe bei Antibiotikaeinsätzen (anstelle der bisher freiwilligen Durchführung).
  • Verbannung des Einsatzes von Reserve-Antibiotika aus Intensivtierhaltungen.
  • Einschränkung der Umwidmungsmöglichkeiten von Wirkstoffen.

Weiterhin ist eine notwendige Voraussetzung für einen deutlich geringeren Antibiotikabedarf in Tierhaltungen in Deutschland die Verbesserung des gesetzlichen Tierschutzes über die Nutztierhaltungs-Verordnung. Die Verwendung von (Reserve-)Antibiotika zur Kompensation von Haltungs-, Management- oder Hygienemängeln in der Intensivtierhaltung widerspricht dem One-Health-Prinzip.

Äußerst bedenklich stimmt uns in diesem Zusammenhang auch der weiterhin dutzende Tonnen betragende Einsatz von Colistin bei Tieren. Die aus humanmedizinischer Sicht unverzichtbaren Reserve-Antibiotika (siehe auch die „WHO list of Critically Important Antimicrobials [CIA]“) der Fluorchinolone, Cephalosporine der 3. und 4. Generation sowie von Colistin sollten nicht in der Massentierhaltung eingesetzt werden!

Wir gehen davon aus, dass Sie unsere berechtigten Sorgen nachvollziehen können und möchten Sie bitten, zeitnah folgende Fragen zu beantworten:

  • Welche Änderungen der Kriterien zur Erfassung der Antibiotika-Abgaben an Tierärzte und Tierärztinnen werden Sie veranlassen?
  • Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um den Einsatz von Antibiotika in der Massen-Tierhaltung generell und insbesondere der „Reserve-Antibiotika“ nachhaltig zu reduzieren?
  • Werden Sie sich für ein Verbot der Verwendung von „Reserve-Antibiotika“ in der Massen-Tierhaltung einsetzen?

Mit freundlichen Grüßen

Antonius Michelmann (Coordination gegen BAYER-Gefahren e. V. (CBG))

Dr. Jutta Weinmann (Ärzte gegen Massentierhaltung)

Susan Haffmans (Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany))

Alexandra Caterbow (Health and Environment Justice Support e.V. (HEJSupport))

Reinhild Benning (Germanwatch e.V.)

Dr. Claudia Preuß-Ueberschär (Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft e.V.)

Kontakt:

Antonius Michelmann (Coordination gegen BAYER-Gefahren e. V. (CBG))
Postfach 150418, D-40081 Düsseldorf, Tel.: 0211 333 911, Fax.: 0211 – 33 39 40)