TfvL e.V. reagiert mit nachfolgendem Kommentar auf den Artikel „Qualzucht bei Nutztieren – die Diskussion geht weiter“, der sich in Ausgabe 10/2019 im Deutschen Tierärzteblatt auf Seite 1400/1401 findet. link zum Artikel
Eine gekürzte Fassung dieses Kommentars erscheint als Leserbrief in der Dezemberausgabe des Deutschen Tierärzteblatts.
Anmerkungen zum Artikel:
„Qualzucht bei Nutztieren – die Diskussion geht weiter.“
DTBl 10/2019, S. 1400
Der Beitrag über Qualzucht in der Nutztierhaltung hätte ein guter Einstieg in eine längst überfällige Diskussion werden können. Hatte BTK Präsident Tiedemann noch im Herbst auf dem Deutschen Tierärztetag zwischen Hundequalzucht und Insekten als Lebensmittel angemerkt, dass für dieses Thema keine Kapazitäten in der BTK frei seien, wurde begrüßenswerter Weise nur 3 Monate später die neue AG „Qualzucht bei Nutztieren“ gegründet. Man fragt sich allerdings, ob nicht mehr Transparenz bei der Zusammensetzung der Arbeitsgruppe auch für eine höhere Akzeptanz der Ergebnisse sorgen würde, denn so entsteht der Eindruck, dass immer dieselben Personen die immer gleichen Personen aussuchen, damit möglichst keine abweichenden Meinungen diskutiert werden müssen. Dieses Vorgehen wird zwar in unserem Berufsstand seit langer Zeit wie selbstverständlich praktiziert, es ist aber zugleich eine ausgesprochene Innovationsbremse.
Eine deutliche Problembeschreibung oder gar eine klare Positionierung für mehr Tierschutz sucht man im vorliegenden Artikel leider vergeblich. Die soll ja erst noch gefunden werden (s. Editorial Heesen). Anscheinend ist man der Ansicht, bereits dazu die Hilfe der Zuchtunternehmen zu benötigen. So sollte die erste Sitzung dazu dienen, „verschiedene Aspekte des Themenkomplexes Tiergesundheit und Tierzucht zu diskutieren„. In den dazu folgenden Ausführungen glaubt der am Tierschutz interessierte Leser dann aber, sich wegen Ausdrücken wie „Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit, Wettbewerbsfähigkeit, tierische Erzeugung, wirtschaftlich effizient, hohe Rendite, ökonomische Abwägungen“ in einen Text der Agrarlobby verirrt zu haben. Stattdessen wird das Leiden des einzelnen tierischen Lebewesens mit technokratischen Begriffen wie „Nutzungsdauer, Abgangsursachen und Milchleistung“ euphemisiert. Die bekannten Vernebelungsworte Tiergesundheit und Tierwohl fehlen gleichfalls nicht. Völlig verwirrend wird es dann mit dieser Forderung: „Die juristische Prüfung der §§3 und 11b TierschG muss sich an dem vorliegenden Sachverhalt der Milchviehhaltung messen lassen.“ Was soll das heißen? Umgekehrt müsste ein Schuh daraus werden. Am Ende lässt der Ausblick ahnen, dass sich aus diesem Ansatz heraus wenig zum Besseren für leidende Tiere ändern wird. Der aus Tierschutzsicht wenig ambitionierte Anspruch begnügt sich dann auch mit „Zucht kann … die natürliche Abwehr gegen Krankheiten verbessern und damit das Tierwohl steigern.“ Und dann gleich im Anschluss erfolgt die Rechtfertigung für evtl. auftretende Probleme: „Zucht kann Mängel in der Haltung, Fütterung und im Management nicht kompensieren.“ Insgesamt lässt der Text jede klare Vorstellung von dem, was wir Tierärzte für Erwartungen und Handlungsvisionen haben, vermissen.
Bis heute gibt es kein juristisches Verfahren zur Qualzucht bei Nutztieren. 17 Jahre nach Einführung des Artikels 20a ins Grundgesetz in Anbetracht des Leidens einer Unzahl von Tieren ein wahres Armutszeugnis! Dazu kommt im Text die merkwürdige Vorstellung, dass der Gesetzgeber die Tierärzte explizit zur Einmischung auffordern würde. Das Tierschutzgesetz fordert uns als Berufsstand zur Handlung auf, aber das Tierzuchtgesetz untersagt eine Einmischung? Oder was meint die Autorin mit „Hinzu kommt, dass Tierärzten bei der Umsetzung des Tierzuchtgesetzes keine Zuständigkeit zugemessen wird.“
Sich mit den Hauptverursachern der jetzigen Situation an einen Tisch zu setzen ist prinzipiell nicht falsch. Aber sollten nicht zunächst kompetente Wissenschaftler statt Vertreter einer aggressiven Fleischvermarktungslobby die Gesprächspartner sein? Und bewegt man sich mit dieser Art der Herangehensweise nicht voll auf dem Niveau der untätigen Bundesregierung, indem man auf good will, auf Freiwilligkeit von Unternehmen und Industrie setzt? Haben wir denn immer noch nicht begriffen, dass dieses System, wohin man auch blickt, nicht funktioniert, dass es gesellschaftlichen Zusammenhalt ohne Verbote nicht geben kann? Wir erleben gerade einen erschreckenden Niedergang des Mitgefühls, des Mitleids und des Gemeinsinns in unserer Gesellschaft. Überspitzt gesagt: wir führen so etwas wie eine Art Krieg gegen Tiere und Natur, aus Bequemlichkeit, aus Ignoranz und wegen der kurzfristigen ökonomischen Interessen einiger Weniger.
Die Interessen heutiger Wirtschaft sind auf Profitmaximierung ausgerichtet, sie sind per se nicht sozial oder ethisch. Ausnahmen bestätigen die Regel. Und so ist denn auch ein Umdenken angesichts des uns alle betreffenden Ökozids, Klimawandels und des offensichtlichen schweren Leids der Tiere weder bei Bauernverbandfunktionären, noch bei den die Landwirte in ihrer Zange haltenden Agrarindustrieunternehmen und -konzernen (dazu gehören auch die Zuchtverbände), noch bei der derzeitigen Bundesregierung in Sicht. Hinter vielen Worthülsen, Schönsprech und Propaganda verbirgt sich ein ,weiter so‘ und möglichst noch viel mehr davon.
Illegitime Zustände im Dialog mit den davon Profitierenden ändern zu wollen, ist illusorisch.
Angesichts dieser Perspektiven müssen Tierärzte, wenn sie nicht Teil des Tierausbeutersystems sein und auch nicht so wahrgenommen werden wollen, endlich ihre Komfortzone verlassen und andere Wege gehen. Seit 2003, als die Delegierten des Deutschen Tierärztetages die Bundesregierung aufforderten, den §11b TierSchG in der Nutztierzucht durch Erlass einer Rechtsverordnung nach §11b Abs.5 TierSchG auf der Basis eines Gutachtens zu konkretisieren und die BTK anbot, die Erstellung dieses Gutachtens zu koordinieren, ist auf diesem Gebiet nichts von Bedeutung mehr passiert. Die Forderung der BTK verhallte ungehört. Die Diskussion um Tierschutzfragen hat sich in den letzten Jahren im Berufsstand zwar verschärft, gleichzeitig waren und sind jedoch marktideologisch ausgerichtete Standesvertreter eifrig bemüht, Tierärzten jegliches Verantwortungsgefühl auszureden und ihre Mitwirkung an dem ganzen Elend auf eine rein beratende Tätigkeit zu reduzieren. Schuld haben dann immer nur die anderen. Und leider gibt es auch in unseren Reihen eine gewichtige Fraktion, die viel zu sehr im System verstrickt ist als dass sie etwas an dem Elend ändern will, an dem sie gut verdient.
Inzwischen ist das Leid der ,Nutz’tiere mehr als offensichtlich für die gesamte Zivilgesellschaft. Weiteres Daten sammeln dient der Verzögerung. Es gibt bereits ausreichend Untersuchungen und Befunde, die das durch einseitige Leistungszucht hervorgerufene Tierleid belegen. Wir blamieren uns in der Öffentlichkeit bis auf die Knochen und führen nebenbei unseren Ethikkodex ad absurdum, wenn wir nicht endlich versuchen, entschlossen gegen diese Verhältnisse vorzugehen. Der Berufsstand entwürdigt sich sonst selbst und er wird – wie er selbst feststellt – auch nicht mehr gefragt, wenn es um Fachkompetenz geht.
Wir – die Autoren dieses Textes – favorisieren den juristischen Weg. Die Einschätzung des Tatbestandes „Qualzucht“ (Kausalzusammenhang zwischen Zucht und Schaden) obliegt den nach Landesrecht zuständigen Behörden. Es gibt genügend engagierte und couragierte Kollegen/innen in den Veterinärämtern, wie man aus den Beispielen der Verfahren gegen große Schweinebetriebe, im Bereich der Abfertigung von Tiertransporten oder der Reise entlang der Tiertransportrouten in jüngster Vergangenheit erlebt hat.
Unserer Einschätzung nach wird ein Umdenken im Bereich der Qualzucht bei Nutztieren nur, auf jeden Fall aber schneller durch Musterklageverfahren zu erreichen sein, bei denen wir durch im Tierschutzrecht erfahrene Juristen unterstützt werden. Dieses Vorgehen hat sich auch im Bereich der Kleintierzucht bewährt.
Richtig ist, dass eine genauere Definition des Begriffs „Qualzucht“ den Vollzug vereinfachen würde. Die Arbeit der Begründung müssen wir Tierärzte, die Experten im Tierschutz, leisten. Dabei könnten Expertengruppen wertvolle Zuarbeit leisten, indem sie den Behörden Merkblätter zur Verfügung stellen, in denen die aus gewissen Qualzuchtmerkmalen dem Tier entstehenden Leiden, Schmerzen und Schäden exakt beschrieben werden und in denen die entsprechenden Literaturstellen angegeben werden. Im Bereich Geflügelrassen erfolgte bereits vor vielen Jahren eine entsprechende Ausarbeitung durch die hessische Landestierschutzbeauftragte. Für Hunderassen hat sich eine (schweizerisch-österreichisch-deutsche) Arbeitsgruppe gebildet, die diese Art Merkblätter erarbeitet.
Ein wichtiger Aspekt ist auch die Nutzung des Verbandsklagerechtes in den entsprechenden Bundesländern, die Zusammenarbeit mit Tierschutzorganisationen und mit der Deutschen juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht. Es wird höchste Zeit, dass wir diese im Tierschutz als Partner begreifen und überkommene Berührungsängste überwinden.
Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft e.V.
i.V. der Vorstand