Mit deutlich selbstkritischen Worten hat der Präsident des westfälisch-lippischen Landwirtschaftsverbandes Johannes Röring die Öffentlichkeit überrascht und die Kampagne ‚Offensive Nachhaltigkeit‘ vorgestellt. Freudig nimmt der Leser zur Kenntnis, dass sich die Verbandsspitze ein Jahr Zeit genommen hat, den eigenen Berufsstand von vorne bis hinten selbstkritisch zu durchleuchten und sich die Frage zu stellen, ob nicht „an mancher Kritik von außen mehr Substanz ist, als wir wahrhaben wollten“. Und erfreulich die Einsicht, dass „der Berufsstand dazu beitrage, dass Boden, Wasser, Tiere sowie Elemente der Kulturlandschaft geschädigt werden“, weil „landwirtschaftliches Handeln die Gesundheit der Menschen beeinträchtigt“ und Bauern die Erwartungen ihrer Kunden nicht ausreichend erfüllten.
Soviel Einsicht verdient Respekt. Hoffnung keimt auf, denn bekanntlich ist Selbsterkenntnis der erste Schritt zur Verbesserung.
Ein Blick auf die Inhalte des tabellarisch aufgelisteten Nachhaltigkeitsprojektes lässt die Ernüchterung auf dem Fuße folgen. Es beruht auf den 4 Säulen Tierhaltung, Pflanzenbau, Umwelt und Soziales.
So will man z.B. in der Schweinehaltung bis 2030 auf das routinemäßige Schwanzkürzen der Ferkel verzichtet haben, ebenso auf die betäubungslose Kastration männlicher Ferkel. Das ist erstaunlich, denn das Kürzen der Schwänze im Routinebetrieb stellt seit jeher schon einen Verstoß gegen geltendes Recht dar und die betäubungslose Kastration wird zum 1.1.2019 verboten sein.
Bis 2036 (!) möchte man die Gruppenhaltung von Sauen im Deckzentrum umgesetzt haben. Das Bundesverwaltungsgericht hat jüngst geurteilt, dass die Haltung von Sauen in 70cm breiten Kastenständen tierschutzwidrig ist. Hier verlangt das Konzept sogar noch Bestandsschutz, also noch 20 Jahre lang soll die Kastenstandhaltung Realität bleiben. Bestandsschutz geht jedoch nicht so weit, dass ein Anlagebetreiber die Anlage auf alle Zeit so betreiben kann, wie sie genehmigt wurde. War die Erfüllung von Pflichten zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung sichergestellt, bedeutet das nicht, dass das für immer so bleiben muss. Es handelt sich um dynamische Pflichten, die sich immer wieder verändern können durch veränderte Umweltbedingungen, neue Technik oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse, weswegen die Behörden nachträgliche Anordnungen treffen können bzw. müssen.
Weiter ist von der Einführung eines nicht näher definierten Tierschutzindex zu lesen. Ein solcher kann jedoch die tatsächlichen Verhältnisse im Stall niemals beschreiben. Nicht ein Index kann das Ziel sein, sondern der Wille, nur gesunde Tiere im Stall zu haben. Dazu müssen in den Haltungsbedingungen endlich wenigstens EU-Recht und TierSchG eingehalten werden.
Zuchtziele sollen richtigerweise verändert werden, weg von der reinen Leistungszucht, und der Antibiotikaverbrauch soll auf ein „notwendiges Maß“ reduziert werden. Auch hier fehlt die notwendige Verknüpfung zu Haltungsbedingungen und Tierzahlen und Besatzdichten. Neue, innovative Stallbauten sollen bis 2030 der Verbesserung von Tierwohl und Immissionsschutz dienen.
Rinder sollen zukünftig hornlos gezüchtet werden. Bis 2030 sollen 50% aller Rinder hornlos sein. Der angekündigte Verzicht auf Enthornung fällt dann allerdings gar kaum noch an. Aber ist nicht auch die hornlose Zucht eine Methode, die Tiere den Haltungsbedingungen anzupassen, statt umgekehrt? Nicht umsonst hat die Natur den Wiederkäuern Hörner mitgegeben. Die Hörner erfüllen wichtige Funktion in Sozialverhalten und Stoffwechselgeschehen der Tiere.
Bis 2030 soll der Anteil auf Weiden grasender Rinder um 20% erhöht sein, weil nämlich weidende Rinder die Kulturlandschaft bereichern. Hier scheint es zuvorderst um die Verbesserung gesellschaftlicher Akzeptanz zu gehen, Tiergesundheit und ökologische Bedeutung adäquater Grünlandbeweidung werden nicht als Gründe aufgeführt.
Und bis 2030 will man es schließlich geschafft haben, mit den Tieren verantwortungsbewusst umzugehen.
Ja, was um Himmels Willen hat man denn bisher gemacht? Überhaupt ergibt sich im Umkehrschluss der bis 2030 anvisierten Ziele ein desolates Bild derzeitiger landwirtschaftlicher Tierhaltung.
In der Säule ,Umwelt‘ soll bis 2030 ein Weg gefunden worden sein, den Nitrateintrag so zu verringern, dass in allen Gewässern der Grenzwert von 50mg/l (ursprünglich lag der übrigens bei 20mg/l) nicht mehr überschritten wird und selbstbewusst will man auch dafür sorgen, dass es bis 2030 keine Patente auf Tiere und Pflanzen mehr gibt, wobei anscheinend nicht realisiert wurde, dass solche Patent bereits geltendes Recht und auf Jahrzehnte geschützt sind.
Fazit: Grundsätzlich ist es gut, dass die gesellschaftliche Kritik endlich aufgenommen wurde. Hier war der westfälisch-lippische Verband als Vorreiter ganz schön mutig! Auf den Punkt gebracht wird jedoch lediglich erklärt, dass man es bis 2030 geschafft haben möchte z.Tl. längst bestehende Gesetze und Regelungen einzuhalten. Man hat aber auch übersehen, dass ein Teil der Betriebe in Absprache mit dem Handel schon längst viel weiter ist. Der Zeitrahmen ist überdies viel zu weit gesteckt. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Staat und Gesellschaft den Landwirten so viel Zeit zur Umsetzung längst fälliger Ziele lassen. Nicht angesprochen wird die Frage nach der Betriebsgröße. Für die gesellschaftliche Akzeptanz der Landwirtschaft und die ökologische Verträglichkeit ist diese Frage jedoch eine der wichtigsten.
Ebenfalls nicht thematisiert wird, dass veränderte politische Rahmenbedingungen und spezielle wirtschaftliche Strukturen vonnöten sind, damit die Landwirte die gesteckten Ziele auch umsetzen können. Der Umbau kann nur gelingen, wenn die Landwirte als Erzeuger eine starke Marktposition gegenüber den vor- und nachgelagerten Industrie- und Handelsunternehmen besitzen.